Europas Antwort auf Corona - EU nimmt erstmals Kredite auf, um die Krise zu bekämpfen

Fünf Tage dauerte das Zerren und Feilschen. Genauer gesagt, 91 Stunden stritten die Staats- und Regierungschef*innen der EU-Staaten um einen Wiederaufbau-Fonds gegen die Corona-Krise und um den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR), gültig von 2021 bis 2027. Einige Stimmen in Politik und Medien sprachen von einer »historischen« Einigung. Das sehen wir als Linke anders.
1,8 Billionen Euro wollen die Chef*innen der EU-Staaten für den Corona-Hilfsfonds und den nächsten Haushalt in die Hände nehmen. 750 Milliarden stehen dem Corona-Paket zur Verfügung. Davon werden jetzt nur 390 Milliarden Euro als Zuschüsse gewährt anstatt 500 Milliarden. Die »Geizigen Vier« – Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden – hatten sich dagegen gewehrt, dass besonders von der Pandemie betroffene Staaten wie Spanien mehr Geld bekommen. Dafür darf die EU erstmalig in ihrer Geschichte nun Kredite aufnehmen. Das fordern wir als Linke schon lange, aber es wären viel größere Summen nötig, um die aktuellen Probleme in den Griff zu bekommen. Außerdem konnten sich die EU-Staaten nicht auf einen Mechanismus für Rechtsstaatlichkeit einigen, mit dem die freie Presse und eine unabhängige Justiz geschützt werden sollte. Ungarn und Polen legten ihr Veto ein. Der Rest, etwa 1,05 Billionen Euro, soll für den EU-Haushalt der nächsten sieben Jahre bestimmt sein. Bereits Ende letztes Jahr forderte das EU-Parlament circa 1,4 Billionen Euro. Beim Haushalt ist das Europaparlament (EP) gleichberechtigter Gesetzgeber. Doch der Rat, in dem die Regierungen sitzen, kam nicht in die Gänge. Die Verhandlungen konnten nicht anfangen. Ende Juli kam endlich die Einigung des Rats auf dem Sondergipfel. Jetzt versucht dieser, das EP vor vollendete Tatsachen zu stellen. Nach dem Motto: Nehmt das oder die Zeit wird knapp. Außerdem wollen die Regierungen den Hilfsfonds weitgehend einer demokratischen Kontrolle durch das EP entziehen.

Darauf musste das EP, die einzig direkt gewählte Institution der EU, schnell antworten. Eine Sondersitzung wurde einberufen, die Abgeordneten unterbrachen ihren Sommerurlaub, um eine gemeinsame Antwort zu beschließen. Die Reaktion der Abgeordneten fiel deutlich aus: sie werden »keine vollendeten Tatsachen absegnen«, wenn sie sich nicht mit dem Rat auf ein zufriedenstellendes Ergebnis einigen werden. Sie sind zwar dafür, dass endlich ein Aufbaufonds beschlossen wurde. Doch das EP kritisiert deutlich, dass die Staatschef*innen gerade bei Programmen, die für die Zukunft wichtig sind, Geld streichen wollen. Das erste Mal in der Geschichte der EU will der Rat den Haushalt kürzen, obwohl die Aufgaben und Herausforderungen der EU mehr Mittel dringend erforderlich machen. Auch das hat die Corona-Krise gezeigt, in der anfangs jeder Staat kopflos seine eigene Suppe kochte. Jetzt will der Rat Ausgaben für den Klimaschutz von 31,6 auf 8,4 Milliarden Euro kürzen, den Fonds für einen gerechten Übergang in Kohleregionen von 40 auf 17 Milliarden Euro stutzen. Erneut will dieser bei der Gesundheitspolitik, der Bildung und der Kultur sparen. Von richtigen Investitionen in soziale Mindeststandards und in den Kampf gegen die europaweite (Jugend-) Arbeitslosigkeit gar nicht erst zu sprechen. So werden die wichtigsten Zukunftsfragen nationalen Egoismen geopfert.

Das Hauptziel des EP-Beschlusses war es, dem Rat ein deutliches Stoppzeichen zu zeigen. Beim Haushalt wird nichts ohne das Parlament entschieden. Dabei galt: Je größer die Mehrheit im Parlament desto stärker die Verhandlungsposition gegenüber dem Rat. Die Linksfraktion im EP (GUE/NGL) brachte von Anfang an ihre wichtigsten Forderungen in die gemeinsame Antwort des EP ein. Doch Demokratie heißt auch, Kompromisse einzugehen. Deshalb stehen im EP-Beschluss auch Forderungen, die nicht unserer Position entsprechen. Für die Abstimmung hatten wir eindeutige Anträge gestellt. So wollten wir diese kritischen Punkte ändern. Die Mehrheit im EP lehnte unsere Anträge leider ab.

etzt ging es bei diesem Beschluss des EP ganz klar darum, die CoronaHilfen schnell auf den Weg zu bringen und den Standpunkt der Abgeordneten zum Haushalt deutlich zu machen. Die Regierungen haben beide Themen zusammen verhandelt, um sich Pfründe und Rabatte zu sichern. Doch das Aufbau-Paket ist eine Sache – und dass diese Hilfsgelder nicht schon früher kamen, hat dem Ansehen der EU geschadet. Der Haushalt ist eine andere Baustelle. Wir wollen als Linke, dass sich das EP mit den Forderungen nach einem stärkeren MFR gegen den Rat durch setzen wird. Deshalb hat unsere linke Fraktion der gemeinsamen Resolution trotz Bedenken mehrheitlich zugestimmt. Unsere Ko-Fraktionsvorsitzende Manon Aubry hat es so ausgedrückt: »Ja wir müssen den Nebel über dem Abkommen lichten und es ist strategisch richtig, jetzt eine starke kritische Position des EP zu unterstützen.«

Nun kann das EP mit einer starken Stimme auftreten, wenn dieses in den kommenden Wochen mit dem Rat verhandelt. Dabei werden wir als Linke unsere Positionen sehr deutlich machen. So muss der künftige Haushalt die Zukunft viel mehr im Blick haben und darf nicht länger Geld in die Politik von gestern stecken. Wir wollen mehr Geld für einen Klimaschutz, der sozial gerecht abläuft und in neue und nachhaltige Technologien investiert. Wir brauchen einen digitalen Umbau, von dem alle in der EU profitieren können. Ohne mehr Mittel für die Forschung, besonders im Gesundheitsbereich, und gegen Armut und für soziale Mindeststandards wird die soziale Ungleichheit in der EU weiter wachsen. Dafür würden eine Digitalsteuer, eine Finanztransaktionssteuer und eine Vermögensabgabe für Superreiche nötiges Geld beschaffen. Höhere Mittel für Verteidigung und Rüstungskonzerne lehnen wir ab. Mehr Demokratie, mehr europäische Lösungen und mehr Solidarität in der EU sind gefragt. Damit würde die EU einen »historischen« Aufbruch schaffen. Doch davon sind die Regierungen noch meilenweit entfernt.

Martina Michels und André Seubert

klar.links Ausgabe #5 September/Oktober 2020