Ein Platz für Rio Reiser!

Oliver Nöll

Der Heinrichplatz wird im September umbenannt

Entgegen aller Regeln fängt dieser Artikel mit dem Ende an: Am 27.11.2019 hat die Bezirksverordnetenversammlung beschlossen, den Heinrichplatz in Kreuzberg in RioReiser-Platz umzubenennen. Wenn sich nun im kommenden Jahr das Bestehen der ikonischen Band TonSteine-Scherben zum 50. Mal jährt, wird zu diesem Anlass hoffentlich im September die feierliche Umbenennung erfolgen.
Es steht völlig außer Frage, dass die Person Rio Reiser und die »Scherben« wie kaum etwas anderes für den widerständigen Geist des »alten« Kreuzberg vor 1989 stehen. Dieser widerständige Geist lebt heute im gesamten Bezirk FriedrichshainKreuzberg weiter: Der Kampf um die Häuser, für bessere Lebensverhältnisse, für ein buntes, multikulturelles Miteinander und die Ablehnung eines ausschließlich konsumorientierten Lebensstils sind – trotz Gentrifizierung und Touristenboom – fest in der politischen DNA unseres Bezirks verankert.
Eigentlich wäre also anzunehmen, dass das Anliegen, Rio Reiser mit der Benennung eines Platzes zu würdigen, auf große Zustimmung und Begeisterung bei den politischen Akteuren stößt. Bisher wurde das Schaffen der Band Ton-Steine-Scherben in »ihrem« Bezirk nur in Form einer kleinen Gedenktafel an dem Haus am Tempelhofer Ufer gewürdigt, wo die Erschaffer solch zeitloser Protestsongs wie »Keine Macht für Niemand« und »Rauchhaus-Song« einige Jahre gewohnt haben. Doch bevor im November der oben erwähnte Beschluss gefasst wurde, hat es einige Jahre der Überzeugungsarbeit und der Diskussion bedurft.

Der Reihe nach: Im August 2017 hat DIE LINKE in Friedrichshain-Kreuzberg erstmals öffentlich das Ansinnen artikuliert, einen Teil des Mariannenplatzes in Rio-Reiser-Platz umzubenennen. Obwohl wir damals betont haben, dass dies ein Wunsch gewesen ist, der uns sowohl aus der eigenen Partei, als auch aus der Bevölkerung erreicht hat, war die erste Reaktion der grünen Bezirksbürgermeisterin Monika Hermann zunächst, diese Idee als »Gag im Bundestagswahlkampf« abzutun.
Das wir allerdings in die BVV am 20. September 2017 einen entsprechenden Antrag eingebracht haben, hat die Ernsthaftigkeit dieser Idee unterstrichen. Dieser Antrag hat sich auch ausführlich der Frage gewidmet, warum wir es für politisch sinnvoll gehalten haben, dass in diesem Fall von der beschlossenen Vorgabe abgewichen werden soll, dass Straßen und Plätze in Friedrichshain-Kreuzberg nach Frauen zu benennen sind, bis Parität im Straßenbild hergestellt ist. Dass wir die Idee der Geschlechtergerechtigkeit politisch unterstützen, ist bekannt. Besagter Beschluss ist – wenn auch eher symbolhaft – ein gerechtfertigter Ausdruck dieser Politik. Trotzdem waren und sind wir der Auffassung, dass im Einzelfall von dieser selbstauferlegten Vorgabe abgewichen werden kann, wenn die zu ehrende Person dies offensichtlich rechtfertigt. Abgesehen von der politischen und kulturellen Bedeutung Rio Reisers für den Bezirk ist sicher auch ein gewichtiger Grund, dass er bereits Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts bekennend schwul gelebt hat. Damals galt noch der berüchtigte §175 StGB (»Schwulenparagraph«), ein öffentliches Bekenntnis zur Homosexualität wurde gesellschaftlich weitgehend geächtet.
Wurde zunächst im September 2017 durchaus noch kontrovers diskutiert, ergab sich alsbald eine konstruktive Debatte im Kulturausschuss. Bei aller Konkurrenz um Wählerstimmen ist an Ein Platz für Rio Reiser! dieser Stelle der Ausschussvorsitzende Werner Heck (Bündnis90/Grüne) zu nennen, der – obschon anfangs skeptisch – sich unserem Anliegen nicht nur angenähert, sondern es mit erheblichem Arbeitsaufwand zu seinem Projekt gemacht hat.
Dieser Arbeitsaufwand hat nicht nur die Diskussionen in den Ausschüssen und in der bezirklichen Gedenktafelkommission beinhaltet, sondern auch die Kontaktaufnahme mit Zeitgenossen, ehemaligen Bandmitgliedern und Familienangehörigen, um deren Haltung zu einer solchen Ehrung in Erfahrung zu bringen. Letztlich mündete dies alles in einem Bürgerbeteiligungsverfahren, welches im September letztlich das Ergebnis gebracht hat, dass nicht der ursprünglich vorgesehene Teil des Mariannenplatzes, sondern der heutige Heinrichplatz den Namen von Rio Reiser tragen soll.
Dem hat sich die Mehrheit in der BVV letztlich angeschlossen. Wobei hier nicht unerwähnt blieben soll, dass auch diese Pläne wiederum einen kleinen, aber recht lautstarken Protest verursacht haben, der sich in dieser Sitzung entladen hat. Unsere Fraktion konnte und wollte sich die vorgebrachten Argumente allerdings nicht zu eigen machen. Der ursprüngliche Namensgeber des Platzes – der 1846 verstorbene Prinz Heinrich von Preußen – hat keinerlei besondere Verdienste vorzuweisen (siehe Kolumne). Die Benennung folgte seinerzeit schlicht der Logik, dass verstorbene Angehörige der preußischen Königsfamilie im Stadtbild von Berlin gewürdigt wurden. Mehr als 100 Jahre nach Ende der Monarchie in diesem Land erscheint eine solche Namensgebung nicht nur aus der Zeit gefallen sondern auch schlicht nicht mehr angemessen.

Dass es nun – wenn alles wie gewünscht abläuft – ab dem September 2020 in unserem Bezirk einen Platz gibt, der nach Rio benannt ist folgt einer gewissen Logik: Auch die Rudi-Dutschke-Straße in Kreuzberg und die Silvio-MeierStraße in Friedrichshain gehen auf Anträge, bzw. Initiativen der LINKEN zurück. Natürlich freut es uns, wenn das Gesicht unseres Bezirks ein wenig linker und widerständiger wird. Nun muss es auch noch viel weiblicher werden. Daran werden wir mitwirken – versprochen!

Oliver Nöll

klar.links Ausgabe #1 Januar/Februar 2020