Auf die Straßen, Plätze, los! - Heinrichplatz (ein Nachruf)

Holger Klemm

In Frankreich stand die Revolution vor der Tür. Bald rollten die Köpfe vermeintlich Blaublütiger. In Preußen pimperte König Friedrich Wilhelm II. derweil seine Mätressen, beendete den vergleichsweise aufgeklärten Regierungsstil seines Vorgängers und führte ein verschärftes Zensur- und Religionskontrollwesen ein. Um sich wenigstens ein paar Freunde zu erhalten, gab er sich als Mäzen und Kunstförderer. Da seine Frau ihm keinen Sohn als Thronfolger auf die Welt presste und auch die männlichen Sprosse der Nebenfrauen nicht das Erwachsenenalter erreichten, heiratete er erneut. Jetzt funktionierte es – mehr oder weniger. Der erste Sohn, verheiratet mit seiner Cousine, verklagte, kaum war der Vater unter der Erde, dessen Mätresse.
Der zweite Sohn Heinrich war zeitlebens kränklich. Bei einem musikalischen Abendgelage fiel er in Ohnmacht. Ein Makel für das Königshaus. Der große Bruder gestattete oder empfahl ihm, die zweite Lebenshälfte im Rom zu verbringen, wo das Wetter besser und der Peinlichkeitsfaktor für ihn geringer war. Die letzten 20 Jahre bis zu seinem Tod 1846 verbrachte er dort im Bett. Dennoch regnete es Auszeichnungen aller Art: Schwarzer Adlerorden, Eisernes Kreuz, Andreasorden, Georgsorden, Großkreuz und weiteres Geklimper.
Die sich seinerzeit abrackerten fürs bisschen Leben, Dämme und Wege außerhalb der befestigten Mauern Berlins sicherten, das Gelände urbar machten, erhielten keinen Orden, keine Gruft im Dom, keinen nach ihnen benannten Platz. Als posthum ein Platz 1849 nach dem kränklichen Heinrich benannt wurde, war dieser Teil Kreuzbergs noch Pampa. Kein Haus weit und breit. Leben kam erst später. Das Kneipenleben am Platz wurde verfilmt und in Romanen beschrieben. Leben besonderer Art auch bei den Maifestspielen seit 1987. Auch die erste Gemüseschlacht zwischen Kreuzbergern und Friedrichshainern, die später auf die Oberbaumbrücke verlegt wurde, fand 1995 hier statt. Nun soll der Platz dem würdigen Gedenken an eine Person dienen, die mehr Identifizierung bot und bietet: Rio Reiser

Holger Klemm

klar.links Ausgabe #1 Januar/Februar 2020