Über das Urteil vom Volksbegehren: "Berlin autofrei"

Brunhilde Van hove

Den Autoverkehr reduzieren und nicht verbieten, das ist das Ziel der Initiative für ein Volksbegehren »Verkehrsentscheid – weniger Autos, mehr Berlin!«. Die Initiative entwickelte ein umfassendes Verkehrskonzept für den Inneren S-Bahn-Ring mit reduziertem Autoverkehr für bessere Luft, mehr Grün, mehr öffentlich nutzbarer Raum, bessere Aufenthaltsqualität, weniger Lärm, weniger Bodenversiegelung und Vieles mehr. Das sah auch das Berliner Verfassungsgericht in seinem Urteil zur Zulässigkeit des Volksbegehrens so: Das Gericht urteilte Ende Juni über den Fall und sieht keinen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und betrachtet das Gesetz als angemessen und verhältnismäßig.

Der Verkehrsentscheid bedeutet nicht das Ende des Autos innerhalb des S-BahnRings. Jedem Haushalt stehen pro Haushaltsmitglied 12 x 24 Stunden Autofahrt zur Verfügung. Das gilt auch für Kinder im Haushalt. Für Personengruppen mit eingeschränkter Mobilität gelten Ausnahmen. Auch berufsbedingt, z.B. Handwerker, Gütertransport, Lieferdienste, Taxis, öffentlicher Personenverkehr etc., darf weiter unbegrenzt in der Innenstadt gefahren werden. Deutlich weniger als die Hälfte aller Haushalte besitzt in der Innenstadt überhaupt ein Auto; das sind vor allem die Haushalte mit einem Nettoeinkommen von über 3.600 Euro. 60 Prozent der Verkehrsflächen werden für die Automobilität vorbehalten, obwohl in der Innenstadt nur 12 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden. Aber wer wohnt an den verkehrsreichen Straßen. Wer muss den Lärm und die Abgase ertragen? Es sind die finanziell Schwächeren, die sich dann auch noch an den automobilen Folgekosten beteiligen müssen. Die Kosten der automobilen Infrastruktur werden gesamt auf die Bevölkerung verteilt, so dass letztlich die finanziell Schwächeren das Auto der Privilegierten subventionieren. Es gibt 230.000 Parkplätze innerhalb des S-Bahn-Rings, da verwundert es nicht, dass es für einen effektiven Hitzeschutz durch schattenspendende Bäume keinen Platz gibt. Versiegelte Parkflächen und Schwammstadt passen einfach nicht zusammen.

Wie oft stehen Rettungsfahrzeuge, Feuerwehr, Busse und Müllabfuhr im Stau? Damit entstehen nicht nur Kosten sondern individuell ist auch Leben in Gefahr. Eine autoreduzierte Innenstadt würde auch den ÖPNV schneller und pünktlicher machen. Lieferdienste, z.B. für schwere Getränkekisten, würden selbstverständlicher werden und sind zudem kostengünstiger als der Erwerb oder Unterhalt eines Autos. Ob der Verkehrsentscheid erfolgreich sein wird, sei dahingestellt. Es erfordert jedenfalls die Bereitschaft, individuelle Lebensverhältnisse zu ändern. Es erfordert soziale Empathie, die legitimen Interessen jener Haushalte zu berücksichtigen, die über kein Auto verfügen. Es erfordert die zukunftsweisende Innovationsfähigkeit von Berlin, die automobile Sackgasse zu verlassen.

Brunhilde Van hove, Mitglied im Bezirksvorstand der Linken FriedrichshainKreuzberg, und Walter Van hove
klar.links Ausgabe #5 September/Oktober 2025