»Noch mehr Verdrängung« - Interview mit Initiative gegen Karstadt-Neubau am Hermannplatz

Lukas Klatte

Am 15. Mai dieses Jahres wurden im Bauausschuss von Friedrichshain-Kreuzberg die Pläne des Immobilien-Milliardärs René Benko bekannt. Seine Signa-Unternehmensgruppe will für eine halbe Milliarde Euro den Karstadt am Hermannplatz abreißen und hinter historisierender Fassade eine monumentale Shoppingmall mit angeschlossenem Hotel, Büro- und Wohnnutzung errichten. In Anbetracht sich bereits heute zuspitzender Verdrängungsprozesse im Wohnen und Gewerbe ist für DIE LINKE in FriedrichshainKreuzberg und in Neukölln klar, dass Anwohner_innen, Nutzer_innen und Beschäftigte vor einem solchen Projekt geschützt werden müssen.
Die Signa-Gruppe ist dafür bekannt, mit teuren Imagekampagnen Betroffene zu umgarnen und politische Gegner_innen – auch durch Klagen – ins Abseits zu drängen. Die Baufreunde und Betonfraktionen im Parteienspektrum haben bereits ihr Wohlwollen geäußert. Im Kampf um die öffentliche Meinung wird sich entscheiden, ob sich die Immobilienspekulanten durchsetzen können. Eine zentrale Akteurin im Konflikt wird daher die Initiative Hermannplatz – karSTADT ERHALTEN sein, die sich aus einem breiten Spektrum von Aktivist_innen gebildet hat, um die Investorenträume am Hermannplatz platzen zu lassen. Wir haben sie interviewt:

Frage: Wie habt ihr von den Plänen der Signa-Gruppe erfahren und wie habt ihr euch als Gruppe zusammengefunden?

karSTADT ERHALTEN: Die Vorstellung im Bauausschuss und die Veröffentlichung des Ibiza-Videos, in dem Benko als mutmaßlicher, illegaler Großspender an die extrem rechte, österreichische FPÖ genannt wird, passierten innerhalb weniger Tage und so wurden wir hellhörig und schnell aktiv. Unsere erste Recherche wurde auf der Webseite der Kiezversammlung 44 veröffentlicht und brachte viele unterschiedliche Themenbereiche in Zusammenhang. Denn das Empörende an dem Projekt ist, dass es auf vielen Ebenen zerstörerisch sein würde: nicht nur das bestehende Gebäude soll zerstört werden, sondern auch der Platz davor; nicht nur das Warenhaus, sondern auch das Gewerbe im Umfeld; es gibt die Klimafrage, die ein Beton-Neubau aufwirft, und das Problem der Fassadenrekonstruktion und Verfälschung historischer Zusammenhänge. Zudem handelt es sich um migrantische Kieze und um einen Investor, der mit Rechten kuschelt. Diese Kombination hat die Zivilgesellschaft mobilisiert.

Was sind aus eurer Sicht die wesentlichen Punkte, die gegen das Vorhaben sprechen?

Es gibt zum einen unmittelbare Konsequenzen: Eine langjährige Baustelle an dem zentralen Platz zwischen Kreuzberg und Neukölln, die eine Hauptverkehrskreuzung lahmlegen würde; den Wegfall eines wichtigen Ortes der Nahversorgung; den Verlust aller Arbeitsplätze im Gebäude. Dann gibt es langfristige Konsequenzen wie das Gewerbesterben im Umfeld und den generellen Trend der Verdrängung von Mieter_innen aus den Kiezen. Was nach der Eröffnung eines solchen Projektes passieren würde, und darauf spekuliert der Konzern: Noch mehr Verdrängung der jetzigen Anwohner_innen, Zuzug wohlhabenderer Kund_innen, weniger Konkurrenz. Auch der Tatsache, dass ein Privatkonzern sich in die Diskussion um die Gestaltung des Hermannplatzes einmischt, treten wir entschieden entgegen. Wenn über »Aufwertung« gesprochen wird, geht es um die Sicht einer privilegierten, wohlhabenden Mittel- und Oberschicht und vieler Politiker_innen, die sich schönere Kulissen wünschen sowie weniger Sichtbarkeit von gesellschaftlichen Konflikten und »Noch mehr Verdrängung« derjenigen, die von der Gesellschaft unterdrückt werden. Der Diskurs über einen öffentlichen Platz hat ganz anders stattzufinden, nämlich ohne dass der Rahmen im Sinne mächtiger Gruppen gesteckt wird. Mit dem »Dialog Hermannplatz« – so heißt das trojanische Pferd Signas – möchte der Konzern nun nicht nur mitreden sondern die Debatte anführen. Mit einer gerechten, öffentlichen Auseinandersetzung hat das nichts zu tun. In der Politik wird das Projekt sehr unterschiedlich aufgenommen.

Was möchtet ihr den Politiker_innen sagen, die sich für das Projekt aussprechen?

Ramona Pop ist die einzige Politiker_in der Grünen, die das Projekt unterstützt. In ihrer Partei hat sie keinen Rückhalt, als Wirtschaftssenatorin wäre sie auf Senatsebene zudem nicht zuständig und sollte einfach das Feld räumen, sonst wird es noch peinlicher. Die SPD Neukölln hat sich auch für das Projekt ausgesprochen. Sie seien in »intensiven Gesprächen« mit Signa über die Platzgestaltung des Hermannplatzes. Warum der Bürgermeister von Neukölln mit einem Konzern darüber spricht und nicht mit Anwohner_innen oder Initiativen, ist ein Skandal. Wir fordern, dass die politische Entscheidung der zuständigen Verwaltung gegen das Projekt ernst genommen wird und nicht von einzelnen Politiker_innen oder Parteien umgangen wird.

Was haltet ihr von dem investorenseitig angekündigten »Dialogverfahren« im neuangelegten Hofcafé mit Fahrradwerkstatt und Kräutergarten?

Das ist ein Schein-Dialog. Eine Kampagne. Denn Ziele und Absichten des Konzerns stehen fest und sollen lediglich als »gut« verkauft werden. Signa tut mit dieser Kampagne so als hätte es keine Ablehnung der planungsbefugten Behörde gegeben! Sie umgeht einen Beschluss, der von den Anwohner_innen in beiden Kiezen unterstützt wird, der viele Mitarbeiter_innen im Gebäude aufatmen ließ. Wie glaubwürdig ist denn dann noch ein »Dialogverfahren«? Sie engagieren Kreative, Musiker_innen und sogar NGOs wie Karuna, die mit Wohnungslosen und Jugendlichen in Not arbeiten, um ihr Vorhaben als »sozial« zu verkaufen. Das ist zynisch, denn es sind gerade diese Gruppen, die von den Plänen von Signa den größten Schaden nehmen würden, die verdrängt werden würden. Die Kampagne ist leicht durchschaubar und kommt nicht gut an.

Zum Abschluss – Wie können euch interessierte Menschen unterstützen?

Wie sich Interessierte bei uns engagieren können, darum wird es bei unserer Veranstaltung im November gehen. Infos darüber gibt es auf unserer Webseite (www.initiativehermannplatz.noblogs.org) sowie auf Facebook (Initiative Hermannplatz) und Twitter (@IniHermannplatz).

klar.links Ausgabe #5 November/Dezember 2019