»Das wirtschaftliche Potential wird durch Verdrängung ausgeschöpft« - Der Soziologe Andrej Holm zum Neubauprojekt am Herrmannplatz

Andrej Holm ist Soziologe und Stadtforscher an der Humboldt-Universität zu Berlin. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er seit vielen Jahren aktiver Begleiter der Berliner Mietenbewegung. Mit ihm sprach im Rahmen der LINKEN-Veranstaltung zum Abriss- und Neubauprojekt am Hermannplatz Lukas Klatte.

Lieber Andrej, du bist bekanntgeworden durch deine Arbeiten zur Gentrification. In den letzten Jahren haben wir bemerkt, dass die Mieten zwar steigen, aber es oft gar keine Aufwertung mehr gab. Es hieß dann, wir kämpfen nicht mehr gegen Gentrification, sondern den finanzmarktgetriebenen, internationalen Immobilienhandel. Kannst du uns diese Annahme erklären und wie würdest du das Vorhaben am Karstadt einordnen?

Im Kern der Gentrification-Forschung standen lange Zeit vor allem stadtteilbezogenen Veränderungen, in denen immobilienwirtschaftliche Inwertsetzungen Verdrängungseffekte auslösten und eine neue Zusammensetzung der Bewohnerschaft forcierten. Auch in Berlin wurde die Gentrification viele Jahre lang mit einzelnen Stadtteilen verknüpft: Mitte, Prenzlauer Berg, später dann Kreuzberg und Neukölln. Mit diesem Gebietsbezug einher ging oft die Suche nach gebietsspezifischen Ursachen. Historische Baustrukturen, eine besondere Stadtlage, das Image und auch die kulturellen und subkulturellen Infrastrukturen wurden dabei als Begründung für die Aufwertung angeführt. Doch Gentrification ist keine Frage von Lebensstilen, sondern war immer vor allem ein ökonomischer Prozess der Aufwertung, der sich unter spezifischen politischen Konstellationen durchsetzt. Relativ simpel kann zusammengefasst werden, dass die Ausschöpfung von wirtschaftlichen Ertragspotentialen – z.B. durch Modernisierungen, Umwandlungen oder Neuvermietungen – dabei eine Verdrängung nicht nur bewirkt, sondern voraussetzt.

In den letzten zehn Jahren kann von einer räumlichen Ausdehnung der Verdrängungsdynamiken in Berlin gesprochen werden. Verdrängung ist in Berlin zum allgemeinen Geschäftsmodell geworden. Geändert haben sich dabei nicht nur die geografischen Strukturen der Verdrängung, sondern auch der ökonomische Kontext. Das Geschäft mit der Verdrängung setzt keine speziellen Ortskenntnisse mehr voraus und ist auch nicht mehr auf die langfristige Bewirtschaftung von Wohnhäusern ausgerichtet, sondern hat sich zu einem Standardinstrument finanzwirtschaftlicher Anlagestrategien entwickelt. Die Zunahmen von Fonds, Briefkastenfirmen und Family-OfficeInvestments belegen diesen Trend der Finanzialisierung.

Immobilien gelten als Betongold und versprechen sichere Renditen, weil auf steigende Grundstückspreise spekuliert wird. Entsprechend beschränken sich die Finanzanlagen nicht nur auf Wohnimmobilien sondern auch auf Büro- und Geschäftsgebäude. Der Karstadt-Deal ist Teil dieses Trends.
 

Auf der Straße hören wir neben viel Entsetzen und Ablehnung auch das Argument, dass am Hermannplatz was passieren müsse und Berlin sich freuen solle, wenn ein Investor 500 Millionen Euro investieren möchte. Was würdest du dem entgegnen?

Der angebliche Segen jedweder Investition hat einen festen Platz in den Legitimations-Mythen der Gentrification. Dabei ist eigentlich bekannt, dass Immobiliengeschäfte vor allem Investitionen in Besitztitel sind, die zur Abschöpfung von künftig erwarteten Einnahmen berechtigen. Anders als bei Investitionen in Betriebe, die mit dem Versprechen neuer Arbeitsplätze verbunden werden können, signalisieren Investitionen in Immobilien vor allem: dieses Geld muss refinanziert werden. Und zwar durch Erträge, die die Immobilie abwirft. Bei Wohnhäusern sind es die Mieten, in Warenhäusern die hohen Nutzungskosten der Geschäfte. So oder so werden die angekündigten 500 Millionen Euro bezahlt werden müssen – letztendlich von denen die in Wohnungen wohnen oder in den Läden einkaufen. Wenn das Geschäft aufgehen soll, müssen letztendlich die Anwohnerinnen und Anwohner aus Kreuzberg und Neukölln diese 500 Millionen zahlen. Wenn diese das Geld nicht aufbringen können, werden sie durch andere ersetzt, die dazu in der Lage sind. So sieht das typische Geschäftsmodell der Immobilienwirtschaft aus.


»Diskutieren Sie mit uns! Kommen Sie vorbei! Wir freuen uns auf Ihre Anregungen!« Auch der Investor Signa richtet solche Appelle an die Kreuzköllner. Was ist falsch an solch einer Beteiligung?

An echter Beteiligung ist eigentlich nichts falsch. Doch die würde ja voraussetzen, dass es eine tatsächliche Mitbestimmung gibt. Wenn das Ergebnis vorher schon feststeht und nur noch Variationen des bereits Geplanten diskutiert werden können, ist es eine Scheinbeteiligung. Echte Mitbestimmung muss die Option des Vetos einräumen. Das scheint hier nicht gegeben.


Was kann und muss die Berliner Politik tun, um bei Projekten wie dem am Hermannplatz dem Ausspruch »Wir geben euch die Stadt zurück« gerecht zu werden? Und wo hakt es?

Wie im Wohnbereich fehlen die Instrumente für den Eingriff in private Geschäfte. Mögliche Vorkaufsrechte im Gewerbebereich gibt es noch nicht und öffentliche Eingriffe beschränken sich in der Regel auf stadtplanerische Rahmensetzungen. Dass Bebauungspläne und Denkmalschutzauflagen nicht ausreichen, um öffentliche Interessen in einem umfassenden Verständnis zu sichern, wird mit einer wachsenden Zahl an umstrittenen Luxusprojekten der letzten Jahre deutlich. Hier sind neue Strategien gefragt, die mit einem Mix an Veränderungssperren und Kommunalisierungen den Run der finanzialisierten Immobilieninvestitionen aufhalten. Wie in anderen Bereichen auch, wird sich eine andere Politik nicht durchsetzen, weil sie notwendig oder vernünftig wäre, sondern dann, wenn sie auch deutlich eingefordert wird. Da können Proteste gegen Investitionsprojekte wie am Hermannplatz viel von den Mieterprotesten der letzten Jahre lernen.

klar.links Ausgabe #2 März/April 2020