Nicht nur zum Frauenkampftag: Wir verdienen mehr!

Jdutih Solty

Die Erinnerung an die letzte große Frauenkampftagsdemonstration, die vor zwei Jahren ohne Hygieneauflagen stattfinden und durch Berlin ziehen konnte, ist für viele feministische Berliner*innen eine Zäsur. Zwar war damals schon die Rede von einem Virus aus Wuhan, der die Welt nervös machte. Aber niemand konnte sich recht vorstellen, was das bald mit dem eigenen Leben zu tun haben könnte. Es war ein lauter, bunter, ermutigender und vor allem: gemeinsamer Tag.
Auch dieses Jahr wird der internationale Frauentag noch im Zeichen der Pandemie stehen. Die Auflagen für Demonstrationen sind strenger geworden, wir Teilnehmer*innen vorsichtiger. Die Pandemie macht es aber nicht nur schwieriger, den internationalen Frauentag kämpferisch zu gestalten, sondern auch dringlicher. Umso schöner ist es zu sehen, dass es auch im dritten Jahr der Pandemie feministische Aktionen gibt. Wir sind müde und erschöpft – aber die Wut und der Wille zur Veränderung ist größer! Zwei Jahre sind nun vergangen, in denen die Lasten der Privatwirtschaft und die Risiken der Pandemie ganz selbstverständlich auf Pfleger*innen, Verkäufer*innen und Erzieher*innen abgewälzt wurden. Dabei wird immer wieder vergessen, welcher große Teil unserer Wirtschaft von eben diesen Berufen abhängen: vom Kümmern und Sorgen, vom Pflegen und Erziehen. Ja, ohne sie würde in unserer Gesellschaft gar nichts mehr laufen. Eine Aufwertung dieser Arbeit, die nicht nur aus billigem Applaus besteht, ist dringend notwendig.
Zwar betreffen die Tarifauseinandersetzungen im Sozial und Erziehungsdienst Berlin nur eingeschränkt – an dieser Stelle senden wir aber Solidarität an alle in ihnen Engagierten im Bundesgebiet! Und auch hier in Berlin haben Erziehung und Pflege, Sozialarbeit und sämtliche Hilfsinfrastrukturen mehr Anerkennung und eben auch mehr Geld verdient.

Aber auch mit einer reinen Aufwertung in Form von Geld wird es nicht getan sein – wir müssen Arbeit und Wirtschaft von Grund auf anders denken. Sorgearbeit, Reproduktion und die praktischen Bedürfnisse menschlichen Lebens müssen ins Zentrum aller wirtschaftlichen Überlegungen gerückt werden. Nur so werden wir auch eine Lebens- und Arbeitsweise finden, die nicht blind ökonomischen Zielen folgt, sondern die Grenzen unseres Planeten achtet. Doch das ist im Kapitalismus nicht zu machen. Es wird also keine sozial-ökologische Transformation ohne Feminismus geben. Den Mangel an spürbarer Wertschätzung gibt es aber nicht nur innerhalb der Arbeitswelt. Ein immenser Teil der Belastungen der Pandemie ist auf uns alle – auf Familien und Privathaushalte – abgewälzt worden. Auf Kinder, die ihre Freunde nicht sehen dürfen, während Sportevents stattfinden. Auf Frauen, von denen erwartet wird, Kinderbetreuung und HomeofficeErwerbsarbeit irgendwie unter einen Hut zu bringen. Auf Paare und Freundschaften, die unter der Last zu Zweckgemeinschaften wurden, weil die gemeinsamen schönen Erlebnisse, die Liebe und Freundschaft erhalten, im Stress der Alltagsbewältigung so rar geworden sind.

Viele der Probleme, die wir schon vor 2020 beklagten sind unverändert vorhanden – manche sind sogar noch drückender geworden. Rund 58 Prozent der Frauen in Deutschland erleben im Lauf ihres Lebens sexuelle Belästigung; 40 Prozent erleben sexualisierte oder körperliche Gewalt. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet; an zwei von drei Tagen überlebt eine nur knapp. Diese Gewalt ist durch die Isolation und den Druck auf Familien in der Pandemie noch verstärkt worden. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg starb im vergangenen Jahr mindestens eine Frau durch einen nahen Verwandten; mindestens eine Frau überlebte die Messerstiche durch ihren Exfreund nur knapp.
In Berlin gerät dabei auch der Wohnungsmarkt in den Blick. Die Berliner Frauenhäuser sind auch deswegen so überlastet, weil viele Frauen immer länger dort bleiben müssen. Frauen, die sich von gewalttätigen Partnern trennen wollen, finden schlicht und ergreifend keinen bezahlbaren Wohnraum in ihrem Lebensumfeld. Die Berliner Landesregierung hatte hier vieles versucht, wie das Vorkaufsrecht und den Mietendeckel, immer wieder scheitern linke Projekte an der Bundesebene.

Doch was feministische Politik angeht, gibt es doch Grund zur Hoffnung, oder?

Die neue Ampel-Koalition im Bund will den §219a StGB endlich streichen, und damit Ärzt*innen endlich das Selbstverständliche erlauben, über ihre Berufsarbeit auch öffentlich zu informieren. Das ändert aber nichts an der historischen Unverschämtheit, dass der §218 StGB nach über 150 Jahren weiter erhalten bleibt. Er stellt Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor in eine Reihe mit Mord und Totschlag, spricht Frauen die Entscheidungsfreiheit über ihren eigenen Körper und ihren Lebensweg ab. Nur wer sich beraten lässt – von Beratungsstellen, die gesetzlich dem Erhalt der Schwangerschaft verpflichtet sind – und nur wer einige Fristen einhält, kann einen Abbruch vornehmen lassen, ohne Strafe befürchten zu müssen. All das ist Grund genug, auf die Straße zu gehen. Und auch mit Maske und Abstand werden wir laut, bunt und gemeinsam fordern: Wir sind mehr Wert! Wir verdienen mehr! Mehr Geld für unsere Arbeit. Mehr Wertschätzung für die Sorgearbeit, die wir auch unbezahlt leisten. Mehr Sicherheit und Schutz vor Gewalt. Mehr Respekt für unsere Entscheidungen. Mehr Brot, mehr Rosen, oder auch: Ein Leben in Würde für alle.

Judith Solty, Mitglied im Bezirksvorstand der LINKEN Friedrichshain-Kreuzberg