Gute Arbeit – Endlich auch für Lieferdienste

Oliver Nöll
Friedrichshain-Kreuzberg

In den letzten Monaten rückt immer mehr die Situation der sogenannten »Rider« bei den Lieferdiensten in den politischen Fokus. Haben im Sommer vor allem die Proteste bei Gorillas Schlagzeilen gemacht, waren es im neuen Jahr die Auseinandersetzungen beim Platzhirschen Lieferando, die vor der Berliner Zentrale in Kreuzberg mit Unterstützung der Gewerkschaft NGG zu Protesten für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne gerufen hatten. Als Bezirksstadtrat, der sich das Thema »gute Arbeit« auf seine Fahnen geschrieben hat, war es mir ein Bedürfnis die Beschäftigten vor Ort zu unterstützen und die solidarischen Grüße des gesamten Bezirksamtes zu überbringen.

Gerade in Zeiten der nun mehr als zwei Jahre andauernden Pandemie haben die großen Marktplayer riesige Einnahmen generiert. Essen zu bestellen, gehört zum selbstverständlichen Alltag vieler Menschen im Bezirk. Ja, es ist für einige angesichts Quarantäne und Lockdown gar zur Notwendigkeit geworden. Immer neue Anbieter drängen mit den unterschiedlichsten Angeboten auf den Markt: Ob Lieferungen vom Supermarkt, Getränke, warme Mahlzeiten oder inzwischen sogar Medikamente – es gibt kaum noch Waren, die man sich nicht direkt an die heimische Haustür liefern lassen kann.

Vergessen wird hierbei allerdings oft, zu welchen Bedingungen die »Rider« arbeiten. So wird beispielsweise bei vielen Portalen die Möglichkeit angeboten, direkt bei Bestellung ein Trinkgeld anzugeben. Die persönliche Rückfrage bei Beschäftigten von unterschiedlichen Unternehmen wurde mit der Auskunft beschieden, dass davon nichts bei Ihnen ankommt. Unfaire, an Lieferzeiten gebundene Boni-Systeme führen dazu, dass die Fahrer*innen gezwungen sind, die Radwege zu Kampfbahnen für die Profitsteigerung des Unternehmens zu machen. Hierbei werden nicht selten sie selbst und andere Verkehrsteilnehmer*innen gefährdet. Kleidung, Smartphone, Fahrrad – bei einigen Anbietern ist es nach wie vor üblich, dass der Beschäftigte die Kosten hierfür selbst tragen muss. Das ist – um die zuständige Gewerkschaft zu zitieren – ungefähr so, als müsse ein in einer Fabrik angestellter Mensch sein eigenes Fließband mitbringen. Zurück zu der Kundgebung bei Lieferando: Die Konzernspitze hat auf die Vorwürfe reagiert, indem sie auf die vermeintlich gute Bezahlung verwiesen haben und dass es dort üblich sei, dass die Arbeitskleidung und der Smartphone-Tarif gestellt werden. Vergessen zu erwähnen haben sie hingegen, dass schon dies das Ergebnis von Protesten und gerichtlichen Auseinandersetzungen war. Mithin haben sie selbst das Argument für die Sinnhaftigkeit solcher Aktionen geliefert. Dass es auch immer noch Praxis ist, die Fahrer*innen zu vepflichten auf dem Weg zur Arbeit und zurück die orangefarbene »Dienstkleidung« zu tragen – also als kostenlose Werbefläche zur Verfügung zu stehen – hat allerdings keine Erwähnung gefunden. 

Bezirkspolitik hat in solchen Themenfeldern begrenzt direkte Einflussmöglichkeiten. Ich möchte allerdings alle Leser*innen auffordern, den Menschen an der Haustür, der gehetzt das Essen liefert, nach seinen Arbeitsbedingungen zu fragen. Ebenso Trinkgelder nur direkt an die Fahrer*innen zu zahlen und Protestaktionen in diesem Markt zu unterstützen. Gute Arbeit gilt auch für die ach so hippe »neue« Branche der »digitalen« Lieferdienste!

Olliver Nöll, Stadtrat für Arbeit und Soziales des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg
klar.links Ausgabe #2 März/April 2022