Skandalöse Zustände in Volkshochschule - Dozent*innen in Friedrichshain-Kreuzberg schreiben offenen Brief

Am 4. August haben sich Dozent*innen der Volkshochschule (VHS) unseres Bezirkes mit einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), die Senatorinnen Elke Breitenbach (DIE LINKE) und Sandra Scheeres (SPD) gewandt. Dieses Schreiben ging auch den Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung zu und wurde zum Anlass genommen, die Beschäftigten in der Ausschusssitzung des Kultur- und Bildungsausschusses zu Wort kommen zu lassen. Die Kernaussagen der Mitarbeiter*innen umfassten zunächst aktuelle Entwicklungen, die zwar den Auswirkungen der Corona-Pandemie geschuldet sind. Trotzdem bleibt aber festzuhalten, dass sowohl die Leitung der VHS Fingerspitzengefühl im Umgang mit Beschäftigten und Kursteilnehmer*innen vermissen lässt, als auch die zuständige Kulturstadträtin Clara Hermann (B90/Grüne) ihrer politischen Verantwortung nur unzureichend nachkommt. Im Gegensatz zu den meisten der anderen Berliner Volkshochschulen wurden in Friedrichshain-Kreuzberg die Deutschkurse nicht zum 1. Juli wieder aufgenommen. Die Folge davon ist, dass die Dozent*innen, die pandemiebedingt nur bis Ende Juni Ersatzzahlungen bekommen haben, ab 1. Juli bis auf Weiteres ohne Einkommen dastehen. Auch die Teilnehmer*innen haben keine Kursangebote mehr in ihrem Stadtteil. Auch haushaltspolitisch fehlt uns für den verspäteten Start der Kurse jedes Verständnis: Der VHS entgehen so wichtige Drittmittel durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die für die Integrationskurse geleistet werden und natürlich nur zur Anweisung kommen, wenn diese Kurse auch stattfinden. Auch die Zahlungen seitens des Berliner Senates hängen mit der Anzahl der Unterrichtseinheiten zusammen. Eine Reduzierung hat somit auch hier negative Auswirkungen.

Dass zwischenzeitlich Clara Hermann zudem eine »Coronaklausel« in die Gespräche eingeführt hat, hat nun auch nicht unbedingt zur Vertrauensbildung seitens der Dozent*innen beigetragen. Ursprünglich sollten alle Honorarkräfte unterschreiben, dass grundsätzlich kein Honorar oder Ausfallhonorar fällig werden sollte, wenn Kurse coronabedingt ausfallen müssen. Zwischenzeitlich hat Clara Hermann diese Anordnung zwar zurückgezogen, was sicher auch dem Druck im politischen Raum geschuldet war, aber allein das Ansinnen, die Lasten der VHS auf den Rücken von sowieso meist prekär beschäftigten Arbeitnehmer*innen auszutragen ist kritikwürdig. Zumal dieses Vorgehen dem ausdrücklichen Wunsch und der Beschlusslage des rot-rot-grünen Senates wiederspricht.

Auch die Entscheidung, dass die Kurse nun zwar wieder gestartet werden, die Teilnehmer*innen aber auf zwei Räume aufgeteilt werden – allerdings weiterhin nur eine Lehrkraft pro Kurs zur Verfügung steht, ist fragwürdig. Dieses Verfahren ist pädagogisch anzuzweifeln, führt zudem dazu, dass die Hälfte der Lehrkräfte kein Einkommen hat, weil sich die Raumkapazität entsprechend reduziert. Eine bessere Wahl wären in diesem Zusammenhang kleinere Kurse von bis zu zehn Menschen, die on jeweils eine*r Lehrkraft betreut würden. So könnten sowohl die Abstands- und Hygienebedingungen eingehalten und den Honorarkräften ein Einkommen garantiert werden. Nun könnte man zu dem Schluss gelangen, dass die oben bezeichneten Umstände auf die besonderen Verhältnisse der letzten Monate zurückzuführen sind. Nicht nur die VHS und die von Clara Hermann geführte bezirkliche Kulturverwaltung waren vor dem Hintergrund einer Pandemie gefordert, Antworten auf Fragen zu finden, die sich in dieser Form seit dem Ende des zweiten Weltkrieges einer Verwaltung nicht mehr gestellt haben, bzw. noch nie Einfluss auf Politik und Verwaltung hatten.
Es ist aber festzuhalten, dass einige grundlegende Verwerfungen in der Friedrichshain-Kreuzberger Volkshochschule zu beklagen sind. Hierfür ist nicht allein die Leitung zu adressieren. Es stellt sich auch die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit, wenn dort tätige Lehrkräfte – Zitat – von einem »Klima der Angst«, »Willkür« und »Mobbing« sprechen. Doch nicht nur mündlich haben sich die Kolleg*innen Luft gemacht. Auch der bereits erwähnte »offene Brief« ist in diesem Zusammenhang eindeutig:

»Zudem belastet ein Arbeitsklima der Angst den Deutschbereich. 2019 wurde eine Deutschkollegin in FK nach 27-jähriger Tätigkeit von heute auf morgen per E-Mail ohne ein Gesprächsangebot rausgeworfen. Vorausgegangen war eine Meinungsverschiedenheit mit dem damaligen Programmbereichsleiter und jetzigen VHS-Direktor. Gute Kommunikation, die früher mit anderem LeitungsperDozent*innen in Friedrichshain-Kreuzberg schreiben offenen Brief Skandalöse Zustände in Volkshochschule sonal möglich war, findet nicht mehr statt. Da Dozent*innen auch nach jahrelanger Beschäftigung immer nur kurzfristige Honorarverträge für Wochen erhalten, sind sie vom Wohlwollen der VHS-Führungskräfte abhängig. Das Motto an der VHS Friedrichshain-Kreuzberg lautet: Friss oder stirb. ›Verbindliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit ist uns wichtig‹, heißt es im Leitbild der Berliner Volkshochschulen. Nur Sonntagsreden in diesem Fall.«

Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass alles unternommen wird, den Forderungskatalog der Lehrkräfte zu erfüllen. Gemeinsam mit der SPD haben wir zur Sitzung am 25.8.2020 einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag eingebracht. Sollte hierzu keine eindeutige politische Reaktion erfolgen, stellt sich die Frage, ob die zuständige Stadträtin tatsächlich für den ihr anvertrauten Fachbereich geeignet ist oder generell politische Spitzenämter bekleiden sollte.

Oliver Nöll, Vorsitzender BVV-Fraktion

klar.links Ausgabe #5 September/Oktober 2020