Irrweg Berliner S-Bahn-Ausschreibung

Positionspapier des Ortsverbands DIE LINKE Friedrichshain-Nordost 
Die vom Berliner Senat geplante Ausschreibung zweier weiterer Teile des Berliner S-Bahnnetzes ist nicht, wie Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) behauptet, „der Schlussstrich unter die S-Bahn-Krise“, sondern wahrscheinlich der Beginn einer neuen Krise. Die mögliche Zerschlagung des Netzes birgt hohe technische Unwägbarkeiten und könnte Allgemeinheit wie Beschäftigte teuer zu stehen kommen.

Die beschlossene Ausschreibung wurde zwar zuletzt entscheidend verbessert, birgt aber aus unserer Sicht weiterhin große Risiken. Als positiv zu bewerten ist nun die Möglichkeit der Deutschen Bahn (DB), ihre bestehenden Werkstätten zu nutzen. Gut ist auch, dass die Spezifikation der Fahrzeuge der Bisherigen, am Ring eingesetzten entsprechen soll. Damit werden rein durch die Vergabelogik verursachte Kosten vermieden. Dennoch scheintder Aufbau eines landeseigenen Werkes zeitlich unhaltbar und würde den Ländern Berlin und Brandenburg schon jetzt hohe Kosten verursachen, um die nötige Grundstückssicherung – vor allem für das zweite Werk – und Vorbereitung für die Schienenanbindung zu gewährleisten, welche im Fall eines Zuschlags für die DB überflüssig wären.

Negativ bleiben aber vor allem die Aussichten für die Beschäftigten. Ein bloßes Bekenntnis des Senats zu Regelungen für den Personalübergang, Tariftreue, Mindestlohn und Ausbildungsverpflichtung ist eine stark abgeschwächte Form von dem, was DIE LINKE ursprünglich gefordert hat. Und selbst bei einer Bindung an Branchentarifverträge können sich die Arbeitsbedingungen gegenüber den heutigen bei der DB verschlechtern. Zum Beispiel mit Blick auf Faktoren wie Rentenansprüche oder den konzerninternen Arbeitsmarkt der DB. Selbst bei reinen Ausgliederungen wie bei der BVG und ihrer Tochter Berlin Transport haben sich in der Vergangenheit die Bedingungen für die Beschäftigen deutlich verschlechtert. Da es aber, auch aus unserer Sicht schwierig erscheint, langfristige Verschlechterungen über Klauseln abzuwenden, sehen wir als Ortsverband hier nur einen gänzlichen Verzicht auf Ausschreibungen, um Beschäftigte langfristig zu schützen.

Um die Risiken für die Beschäftigten jetzt zu schützen, fordern wir als Ortsverband, DIE LINKE im Abgeordnetenhaus auf, klar für Arbeitsrechte und die Übernahme aller Beschäftigtengruppen und deren Tarifverträge einzustehen. Der Konflikt mit SPD und vor allem den Grünen in diesen Fragen darf nicht aus Rücksicht auf den „Koalitionsfrieden“ gescheut werden.

Anders als von der Verkehrssenatorin behauptet, wurde anderswo noch nicht gezeigt, dass vergleichbare Netze von verschiedenen Unternehmen zugleich betrieben werden können. Jedenfalls ist es dabei noch nicht zu langfristigen Verbesserungen für die Fahrgäste gekommen. Das Berliner S-Bahn-Netz ist in seiner Komplexität einzigartig in Deutschland. Die Ereignisse u.a. im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) haben deutlich gezeigt, was passieren kann. Dort wurden erst letztes Jahr Verträge mit Eurobahn/Keolis wieder gekündigt, weil diese nicht ausreichend Personal bereitstellen konnten. Beispiele wie diese gibt es aus den letzten Jahren vermehrt. Ein von der Dimension her vergleichbarer Versuch bei der Londoner U-Bahn ist vor gut zehn Jahren krachend gescheitert. Ähnliches droht auch Berlin.

Es ist fahrlässig, zu hoffen, dass es die aktuellen Ausschreibungsbedingungen der DB relativ leicht machen werden, das beste Angebot abzugeben, wodurch die Zerschlagung abgewendet wäre. Es ist bei Ausschreibungen niemals auszuschließen, dass ein anderer Bewerber den Zuschlag erhält und die S-Bahn teilprivatisiert wird. Bei der Größe des Auftrags dürften sich neben der DB vor allem potente staatliche oder staatsnahe Konzerne aus dem Ausland bewerben, die teils von staatlichen Garantien oder Zuschüssen profitieren. Sie könnten Dumpingpreise anbieten, um den deutschen Markt zu erschließen. Mit echtem Wettbewerb hat das wenig zu tun und wird den späteren Einfluss des Landes kaum steigern.

Um die hohen Risiken einer Ausschreibung zu vermeiden, das Netz in einer Hand zu behalten, Beschäftigte langfristig zu schützen und nicht von der DB abhängig zu bleiben, wäre es weiterhin der beste Weg, eine Direktvergabe an eine landeseigene Gesellschaft anzustreben. DIE LINKE sollte sich hier starkmachen, damit die Gespräche über eine Beteiligung an der S-Bahn-Gesellschaft mit der DB wieder aufgenommen werden. Ein S-Bahn-Netz aus einer Hand bleibt technisch und finanziell die einzige vernünftige Lösung.

Als Ortsverband DIE LINKE Friedrichshain-Nordost sehen wir nicht die Verkehrssenatorin als unsere Verbündete für einen nachhaltigen und funktionierenden Nahverkehr in unserer Stadt. Unsere Verbündeten sind die Beschäftigten, Gewerkschafter*innen und die Öffentlichkeit, die für Druck auf den Senat gegen Zerschlagung der S-Bahn mobilisiert werden sollten.

Frau Günther hat nie einen Hehl daraus gemacht, die S-Bahn durch Wettbewerb zerschlagen zu wollen; wir machen keinen Hehl daraus, dass wir das nicht mittragen. Als DIE LINKE sollten wir uns unserer politischen Verantwortung bewusst sein und nicht als Steigbügelhalter für eine neoliberale Verkehrspolitik agieren.

 

Berlin, der 04.06.2020